Nachgefragt: Was heißt eigentlich … ein Sommer wie damals?

Sigrid Neureiter hat sich auf die Suche nach diesem Mythos und der damit verwandten, aktuell viel beschworenen „Sommerfrische“ begeben.

Kaum eine Wetteranalyse, in der der heurige Sommer nicht mit dem Sommer von damals verglichen wird. Kaum eine Tourismuswerbung, in der nicht die Sommerfrische in Österreich als der Trend schlechthin gepriesen wird. Doch ist dieser spezielle Corona-Sommer tatsächlich „ein Sommer wie damals“? Und was hat es eigentlich mit der Sommerfrische auf sich?

 „Ein Film voller Sommererinnerungen, der dem Lebensgefühl von damals nachspürt, als man die Sommer noch daheim oder in der Sommerfrische auf dem Land verbrachte.“ So beschreibt der ORF die Dokumentation „Landsommer – Ein Sommer wie damals“ aus dem Jahr 2017. Damals, das war in dieser Sendung beispielsweise der Attersee gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Er war nämlich damals gerade als der Inbegriff der Sommerfrische in Mode gekommen.

Werbeslogan

Berühmt geworden ist dieser „Sommer wie damals“ durch den Werbeslogan der österreichischen Limonade Radlberger. Die Spots zeigen eine heile Welt, vor allem eine heile Umwelt, unberührte Naturlandschaften, Seen mit Ufergrün so weit das Auge reicht. Weder Hotels noch Badeanstalten, Häusln oder Hüttln versperren den Blick und den Zugang zum einzigen Steg. Dort fischt der Vater mit dem Sohn, wahlweise springt er vollständig bekleidet vor den Augen seiner Partnerin ins glasklare Nass und anschließend wird den beiden Kindern das Schwimmen beigebracht.

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Das sind die Bilder des Sommers von damals, die ich im Kopf habe. Wobei dieser Sommer sicher nicht im 19. Jahrhundert war, das sieht man schon an der Kleidung der Protagonisten. Immerhin ist der Ursprung der Radlberger-Werbespots im 20. Jahrhundert angesiedelt, nämlich Ende der 80er Jahre. 2009 erfolgte ein sanfter Relaunch mit einem Werbespot, der, wie meine Recherchen ergaben, im Salzkammergut gedreht wurde. Ob es just der Attersee war, konnte ich nicht verifizieren, aber das tut auch nichts zur Sache.

Die heile Welt von Radlberger

Fakt ist, der Sommer von damals hat etwas mit heiler Welt und Sommerfrische zu tun. Er hat dagegen nichts gemein mit den Kapriolen, die das Wetter derzeit schlägt. Zumal in den Radlberger Sommer-Spots meist die Sonne lacht. Und selbst wenn dem tatsächlich so wäre, dass der eher frische Sommer heuer etwas mit dem Sommer von damals zu tun hätte, frage ich mich: Wozu brauchten die dann damals eine Sommerfrische?

Landlust der Städter

Ein Blick in Wikipedia bestätigt meine Vermutung, dass nicht nur der Sommer von damals, sondern auch die Sommerfrische kaum etwas mit dem Wetter zu tun haben. Wörtlich heißt es: „Der vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete Begriff ´Sommerfrische` wird im Wörterbuch der Brüder Grimm definiert als ´Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerzeit` oder ´Landlust der Städter im Sommer`.“

Schon in der Antike

Sommerfrische hat also etwas mit Landleben zu tun. Wenn auch nicht unbedingt mit Landlust. Ging doch die Verlagerung des Wohnsitzes auf das Land ursprünglich auf die wirtschaftliche Notwenigkeit zurück, die Felder zu bestellen. Das war laut Wikipedia schon in der Antike so, wobei eingeräumt wird, dass der Aufenthalt am Land im Sommer auch geschätzt wurde, um den „bedenklichen hygienischen Bedingungen der Stadt zu entkommen.“

Ziehe ich nun in Betracht, dass die Nebelduschen in Wien erst vor kurzem in allen 18 „coolen Straßen“ aus bedenklichen hygienischen Bedingungen abgedreht wurden, ist es nur recht und billig, dass allerorten mit Sommerfrische gelockt wird. Wobei billig ein relativer Begriff ist. Ich habe, nachdem ich gefühlte 1000 Facebook Ads von Hotels und Destinationen angeklickt habe, nicht den Eindruck, dass es besonders billig wäre, nach alter Tradition die Sommerfrische in Österreich zu verbringen. Aber was soll´s? Es geht ja nicht um Schnäppchen, sondern um Patriotismus.

Wann war eigentlich „damals“?

Nachdem ich also die Begrifflichkeiten geklärt habe, mache ich mich weiter auf die Suche nach der Sommerfrische im Sommer von damals. Aber wann war eigentlich damals? War damals vor drei Jahren, als der Gehsteig vor meinem Wohnhaus im Sommer zwecks Kabelverlegung aufgerissen wurde, die Grube wochenlang nur mit Holzbrettern bedeckt war und es immer kräftig lärmte und staubte? Dann wäre es heuer tatsächlich ein Sommer wie damals, denn der Gehsteig wurde schon wieder aufgerissen, die Holzbretter haben erneut Einzug gehalten, Lärm und Staub ebenso.

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Aber das wäre wohl zu kurz gegriffen. Drei Jahre sind sicher nicht damalig genug. Ich gehe weiter zurück, in den Sommer vor 20 Jahren. Aber damals hatte ich gerade mein Unternehmen gegründet und an Sommerfrische war nicht zu denken – nicht einmal dahingehend, wie der Begriff in jüngerer Zeit definiert wird: die vorübergehende Verlegung des Wohn- und Arbeitsortes auf das Land.

Also, zurück in die Studienzeit. Damals bin ich durch ganz Europa gereist, was allerdings derzeit aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich ist. Als Teenager war ich mit meinen Eltern in Kroatien (damals noch Jugoslawien) und als Kind in Italien. Doch diese Destinationen von damals waren ja bis vor kurzem reisemäßig tabu und werden es vielleicht bald wieder sein.

Genaues weiß ich nicht und will das Schicksal nicht herausfordern. Auch dann nicht, wenn Facebook-Freundinnen mit Bildern von viel Abstand am Strand von Caorle locken. Selbst wenn mein Lieblings-Liebespaar gerade in Kroatien turtelt und mich via Instagram daran teilhaben lässt. Ich bleibe hart und patriotisch und suche weiter nach der Sommerfrische von damals.

Alles nur Fake?

Weitere 1000 Klicks auf Facebook Ads und Webseiten bringen mich meinem Ziel nicht näher. Selbst Freundinnen und Freunde werden eingespannt, mir bei der Suche nach dem Sommer von damals oder zumindest einer Destination für meine Sommerfrische zu helfen. Kaum sehe ich ein Posting mit einer Gegend in Österreich, die mir gefällt, schreibe ich auch schon eine Personal Message mit der Bitte, mir doch unbedingt zu verraten, wo das ist.

Ein lieber Freund ist neulich sogar von seinem Sommerfrische-Landsitz eigens wegen mir ins Dorf gegangen, um nachzufragen, wo noch etwas frei wäre. Mehrfach bin ich in diverse Täler und Viertel Niederösterreichs gefahren, um selbst nach einem Quartier für meine Sommerfrische in einem Sommer wie damals zu fahnden.

Leider waren alle Anstrengungen vergebens. Die Pension am See war im gewünschten Zeitraum schon ausgebucht, die Ferienwohnung am Waldesrand lag im Keller und die zahllosen bunten Facebookbilder zerstoben bei näherer Betrachtung wie der Nebel aus den gleichnamigen Duschen. Sind der Sommer und die Sommerfrische von damals also reine Phantasiegebilde cleverer Werbestrategen, um etwas zu verkaufen, wo nicht drin ist, was draufsteht? Ist also alles nur Fake?

Klausur im Wienerwald

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Am Ende habe ich sie doch noch gefunden: die Sommerfrische und den Sommer von damals. Meine Geschäftspartnerin, mit der ich gemeinsam an einem Projekt arbeite, hat ein Haus im Wienerwald. „Machen wir doch eine dreitägige Klausur“, sagte meine Geschäftspartnerin. „Du kannst deinen Mann mitbringen. Er kann sich mit seinem Laptop in den Garten setzen und wir arbeiten an unserem Projekt. Wir können im Wald spazieren gehen. Wenn mein Mann am Abend nach Hause kommt, fahren wir alle zusammen zum Heurigen.“

Das klang zwar nicht nach einem Sommer wie damals, aber zumindest nach Sommerfrische. Ich stimmte zu, blieb aber skeptisch. Zu oft war ich in diesem Sommer schon enttäuscht worden. Doch meine Vorbehalte erwiesen sich als unbegründet. Das Haus lag tatsächlich am Waldesrand. Es verfügte über einen sehr romantischen Garten mit Holzhütte, eigener Bienenzucht und sogar einer Schlange – die sich während meines Aufenthaltes aber glücklicherweise nur einmal blicken ließ.

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Trotz Gewitter im Freien

Der Sommer blieb zwar wettermäßig weiter durchwachsen (wie damals??). Die Terrasse des Hauses war jedoch überdacht und lag so windgeschützt, dass wir die ganze Zeit im Freien arbeiten konnten. Nicht einmal durch ein Gewitter ließen wir uns vertreiben. Auch mein Mann, der quasi das Büro mitgenommen hatte, konnte alles, was er sich vorgenommen hatte, erledigen und sich dabei noch entspannen – obwohl wir ihn mehrfach als Assistenten für Fotos, Videos oder Nahrungsbeschaffung einsetzten.

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Entspannt und inspirierend zugleich waren auch die Abende zu viert – ob beim Terrassenheurigen mit Blick in einen wunderbaren Sonnenuntergang oder am gemütlichen Esstisch meiner Geschäftspartnerin. Sämtliche Bedingungen für eine Sommerfrische waren also schon einmal erfüllt. Auch wenn mir drei Wochen lieber gewesen wären als drei Tage. Aber auch die haben mich schon sehr erfrischt. Bleibt die Frage nach dem Sommer von damals offen. Auch ihn habe ich durch einen reinen Zufall aufgespürt.

Urlaub wie zu Kaisers Zeiten

Damit wir nicht jeden Tag von Wien zu unserem Zielort und retour fahren mussten, entschlossen wir uns, nach einem Quartier in der Nähe des Hauses meiner Geschäftspartnerin zu suchen – und wurden schließlich fündig. Über eine Buchungsplattform entdeckten wir ein kleines, feines Dreistern-Hotel ganz in der Nähe meines Klausur-Ortes. Schon die Fotos im Internet ließen mich ahnen, dass in diesem Haus die Zeit stehen geblieben war: Blumenkistchen an den Holzbalkonen, Tapeten an den Wänden, Biedermeiermöbel in den Fluren und Luster an den Decken. Genauso war es dann auch.

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Unser Zimmer war klein, aber heimelig, mit einem schönen Blick auf das Dorf und die Hügel des Wienerwaldes. Der Gastgeber las uns beinahe jeden Wunsch von den Augen ab und wenn nicht, dann brauchten wir nur etwas nur sagen, und es wurde prompt erfüllt. Das Beste aber war der Frühstücksraum: Das Mobiliar war rustikal, an den Wänden hingen Bilder von Jagdszenen, und das Ganze wurde untermalt von Begleitmusik aus alten Filmen.

„Urlaub wie zu Kaisers Zeiten“, sagte mein Mann zu mir. Er meinte Kaiser Franz Joseph I. Der verbrachte den größten Teil seines Lebens und seiner Regentschaft im 19. Jahrhundert. Damals, als alles begann, mit der Sommerfrische und dem Sommer von damals.

PS: Falls Sie jetzt auf den Geschmack gekommen sind, und wissen wollen, wie der Terrassenheurige oder das Hotel heißen, von dem ich Ihnen erzählt habe, dann schreiben Sie mir eine Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

PPS: Damit Sie jetzt nicht meinen, die Kampagnen der Österreich Werbung und verschiedender Regionen wären verlorene Liebesmüh gewesen: Mein Urlaub liegt noch vor mit. Ich werde ihn in Österreich verbringen. Ob es ein Sommer wie damals wird … Hören Sie, was Rudi Carell im Jahr 1975 dazu zu sagen hatte bzw. lauschen Sie seinem Song

Vielleicht haben wir ja dann die Chance, dass zumindest der nächste Sommer wieder einer wird, wie er früher einmal war: Die Geheimnisse hinter Carells Sommer-Song

© Sigrid Neureiter, Dr. Neureiter-PR

Fotos: ©Dr. Neureiter-PR

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